7. Jänner 2024

Requirements Engineering: Für erfolgreiche IT-Projekte

Neulich erzählte mir eine Freundin von ihrem neuen Freund, einem Ingenieur. Sie wusste nicht genau, was seine Arbeit beinhaltet – sie vermutete, er „bastelt“ irgendwie an Dingen. Als ich ihn dann traf, stellte sich heraus, dass er Requirements Engineer ist – genau wie ich. Diese Entdeckung brachte uns zum Lachen, denn Requirements Engineering hat wenig mit „Basteln“ zu tun, sondern viel mehr mit präziser Planung und Umsetzung in der IT-Welt.

Diese Begegnung brachte mich zum Nachdenken: Wie oft verstehen selbst nahe Personen nicht, was hinter komplexen IT-Berufen wie dem Requirements Engineering steckt? Deshalb möchte ich an dieser Stelle diesen „geheimnisvollen“ Beruf entmystifizieren und entdecken, wie essenziell gutes Requirements Engineering für den Erfolg jedes IT-Projekts ist.

Die Herausforderungen von IT Projekten

Mit der zunehmenden Vernetzung, Digitalisierung und Globalisierung steigen auch die Komplexität und die Anforderungen an IT-Systeme

Wiener Wirtschaft / Ausgabe 20 / 26. September 2024

Bereits im Jahr 2013 veröffentlichte die Standish Group ihren „Chaos Report“. In diesem wurde Folgendes festgestellt:

Im Jahr 2012:

  • konnten 74% der Projekte nicht in der vorgegebenen Zeit abgeschlossen werden,
  • kam es bei 59% der Projekte zu Mehrkosten,
  • wurden im Schnitt nur 69% der geforderten Funktionen geliefert.
Darstellung wie viele IT Projekte in den Jahren 2004-2012 eine Überschreitung in Zeit oder Budget hatten oder mit weniger Features abgeschlossen wurden.
The Standish Group - Chaos Manifesto 2013

Und was bedeutet das für Unternehmen? Es bedeutet, dass bei IT-Projekten in den meisten Fällen entweder mit einer Verspätung, mit Mehrkosten und/oder weniger Funktionsumfang gerechnet werden muss.

Doch was ist das Problem bei diesen gescheiterten IT-Projekten?

The task of requirements gathering, selecting, and implementing is the most difficult in developing custom applications.

Quelle: The Standish Group - Chaos Manifesto

Und genau dieses Zusammentragen der Anforderungen ist die Aufgabe und die Verantwortung eines Requirements Engineers.

Was ist ein Requirements Engineer?

Folgender Satz hat mir dazu unlängst in dem extra der Wiener Wirtschaft gefallen:

Eine zentrale Herausforderung besteht darin, digitale Lösungen so zu gestalten, dass sie unsere menschlichen Bedürfnisse effektiv adressieren und nicht nur technische Anforderungen erfüllen.

Wiener Wirtschaft / Ausgabe 6 / 14. März 2024 - Extra Unternehmensberatung, Buchhaltung & IT - Seite VI

Der Requirements Engineer kann in unterschiedlichen Rollen an einem Projekt beteiligt werden. Manchmal als klassischer Requirements Engineer, oftmals aber auch in der Rolle des Systemanalytikers, Business Analysten, Projektmanagers oder Product Owners.

Der Requirements Engineer ist jene Person, die, Anforderungen für ein IT-Projekt erfasst, analysiert, dokumentiert und verwaltet. Dabei ist seine Hauptaufgabe, die Wünsche und Bedürfnisse der Stakeholder, unter anderem der Kunden des Systems, zu verstehen und klar und verständlich zu erfassen. Durch das Einnehmen der unterschiedlichsten Perspektiven der Stakeholder, sei es nun ein Endnutzer, das Wartungspersonal oder der Auftraggeber, stellt der Requirements Engineer sicher, dass die entwickelte Anwendung erfolgreich wird.

Dabei ist der Requirements Engineer in seiner Arbeit abhängig vom Input und dem Feedback der Stakeholder. Das macht diese Position zu einer sehr kommunikativen und teamorientierten Aufgabe.

Eine der faszinierendsten Aufgaben in meinem Beruf besteht darin, Fragen zu stellen und bestehende Prozesse, die oft aus Gewohnheit beibehalten wurden, neu zu überdenken. Hierbei ist Feingefühl von entscheidender Bedeutung. Als erster Ansprechpartner für die zukünftigen Benutzer eines Systems habe ich die Möglichkeit, Anforderungen zu erfassen und Ideen in die richtige Richtung zu lenken. Diese Fähigkeiten sind nicht nur durch fachliche Kenntnisse erworben, sondern können auch von Quereinsteigern stammen, die bereits in verschiedenen beruflichen Kontexten Systeme genutzt und eigene Anforderungen entwickelt haben.

Stakeholder als wichtige Anforderungsquelle:

In der oben genannten Definition ist das Wort „Stakeholder“ bereits ein paar mal vorgekommen. Auf dieses möchte ich nun genauer eingehen. Ein passendes Synonym dafür wäre „Interesseneigner“.

Stakeholder sind Menschen oder juristische Personen im Zusammenhang mit Ihrem Projekt, die das Projekt beeinflussen und die davon betroffen sind.

Quelle: IREB - Advanced Level Elicitation

Diese Stakeholder spielen eine wichtige Rolle im Projekt, denn sie dienen als wichtigste Quelle von Anforderungen. Denn das zukünftige System soll weitestgehend den Wünschen und Bedürfnissen dieser Stakeholder entsprechen.

Warum soll das System den Wünschen und Bedürfnissen der Stakeholder entsprechen?

Ein Produkt, das den Wünschen und Bedürfnissen der Stakeholder entspricht, bietet einem Unternehmen wesentliche Vorteile:

  1. Bei der Entwicklung von Produkten oder Systemen, welche am Markt angeboten werden sollen:
    Produkte, die auf die Bedürfnisse der Nutzer abgestimmt sind, haben eine höhere Akzeptanz am Markt. Ebenfalls steigt die Wahrscheinlichkeit, dass diese zufrieden sind. Zufriedene Kunden sind eher bereit, das Produkt weiterzuempfehlen, wiederholt zu kaufen und treue Kunden zu werden.
  2. Bei der Entwicklung von intern zu verwendenden Systemen:
    Aber auch für interne Systeme ist die Zufriedenheit der Benutzer relevant. Die positive Einstellung der Mitarbeiter zu einem neuen System fördert dessen Akzeptanz und erleichtert die Implementierung. Widerstand gegen Veränderungen ist eine häufige Herausforderung bei der Einführung neuer Systeme. Wenn Mitarbeiter das System jedoch positiv aufnehmen, wird dieser Widerstand minimiert.

Insgesamt führt das Entwickeln von Produkten, die auf die Wünsche und Bedürfnisse der Stakeholder ausgerichtet sind, zu einer höheren Kundenzufriedenheit, einer stärkeren Marktposition und einem geringeren Risiko von Produktfehlschlägen.

Welche Eigenschaften benötigt ein erfolgreicher Requirements Engineer?

Dies unterstreicht, warum die Rolle des Requirements Engineers so stark auf Kommunikation ausgerichtet ist. Um in diesem Feld erfolgreich zu sein, sind bestimmte Soft-Skills unerlässlich. Ein versierter Requirements Engineer zeichnet sich aus durch:

  • Ausgeprägte Kommunikationsfähigkeiten: Diese sind entscheidend, um klar und effektiv mit verschiedenen Stakeholdern zu interagieren und deren Bedürfnisse zu verstehen.
  • Teamfähigkeit: Da Requirements Engineering oft in Teamumgebungen stattfindet, ist die Fähigkeit, gut im Team zu arbeiten und zu kollaborieren, von großer Bedeutung.
  • Kreativität: Dies ermöglicht es dem Requirements Engineer, innovative Lösungen für komplexe Probleme zu entwickeln und sich an dynamische Projektanforderungen anzupassen.
  • Lösungsorientierte Denkweise: Eine zielgerichtete und effiziente Herangehensweise hilft dabei, realisierbare Lösungen für die gestellten Anforderungen zu entwickeln.

Fazit:

Durch die Kombination dieser Soft-Skills kann ein Requirements Engineer effektiv dazu beitragen, dass IT-Projekte bzw. Softwareprodukte nicht nur die gestellten Erwartungen erfüllen, sondern auch begeistern. Daher eignet sich besonders dieser Beruf meiner Meinung nach für den Quereinstieg in die IT-Branche.

Wenn auch du wie mein Freund "bastelst", aber sicherstellen möchtest, dass das Ergebnis keine Überraschung wird, dann lass uns über Requirements Engineering sprechen. Es ist der Schlüssel zu erfolgreichen IT-Projekten.

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